ANJA CIUPKA |
Passionate Single
Necmi Sönmez im Gespräch mit Anja Ciupka
Necmi Sönmez:
Der Kunstverein Arnsberg hatte anlässlich seines 20-jährigen Jubiläums einen Ausstellungswettbewerb ausgeschrieben. Ziel war es - wie es die Satzung des Kunstvereins festlegt und wie es seit 19 Jahren erfolgreich praktiziert wird - junge Künstler/Innen zu fördern, die mit ihren Arbeiten neue Ideen aufgreifen und ungewöhnliche Experimente wagen, um die verloren geglaubte Verbindung zwischen zeitgenössischer Kunst und Gesellschaft neu zu beleben. Die Jury hat einstimmig für Dein Projekt „Passionate Single" gestimmt. Anja, zunächst erscheint der Titel der Ausstellung „Passionate Single“ rätselhaft. Wie kamst du zu dem Titel der Ausstellung?
Anja Ciupka:
Der Titel „Passionate Single" sollte verführen und zugleich verunsichern. Er ist lustvoll, provozierend aber auch ironisch. Offensichtlich geht es um unterschiedliche Lebensentwürfe, insbesondere im Hinblick darauf, welche Beziehungen wir eingehen, eingehen wollen oder eingehen können. Unser sozialer Kontext, unsere Herkunft, die Werbung und nicht zuletzt vielleicht auch unsere eigenen Bedürfnisse suggerieren uns, dass wir in der Beziehung zu anderen Menschen glücklicher sind. Gleichzeitig wissen wir aber um die Schwierigkeiten und Herausforderungen solcher Beziehungen, die zusätzlich vielen inneren und äußeren Einflüssen unterliegen. Denkt man den Gegenentwurf des absoluten Singles konsequent zu Ende, sieht man sich aber auch unweigerlich mit abgründigen, gefahrvollen oder extrem einsamen Situationen konfrontiert. Der Titel eröffnet ein Spielfeld, das es mir erlaubt, zahlreiche Parameter in Beziehung zu setzten, die miteinander aber auch gegeneinander arbeiten, die Assoziationen auslösen und gleichzeitig unauflösbare Widersprüche spürbar machen.
„Passionate Single" kann aber auch im Hinblick
auf das künstlerische Arbeiten an sich und den Ausstellungskontext interpretiert
werden. Es handelt sich um eine Einzelausstellung die im Rahmen eines Wettbewerbs
anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Kunstvereins „gewonnen"
werden konnte. Dieser Katalog ist meine erste monographische Publikation.
Die Arbeit als Künstlerin erfordert sowohl Einsamkeit als auch die Wahrnehmung,
Beobachtung und Empfindung unserer aktuellen Situation. Die Arbeit eines Künstlers
ist leidenschaftlich, manchmal heftigen Neigungen und irritierenden Vorstellungswelten
unterlegen. Gleichzeitig erfordert sie einen Rückzug, das Alleinsein
und Reflektion.
Es ist eine leidenschaftliche, aber auch sehr individuelle Arbeit.
Necmi Sönmez:
Wie waren deine ersten Eindrücke von den Räumen
des Kunstvereins, die in dem von Schinkel erbauten Bürgerhaus früher
als repräsentative Wohnung benutzt wurden? Bei deinem Projekt ging es
darum, sich von einer klar definierten Raumwahrnehmung zu einer unbestimmten,
imaginären Situation hin zu bewegen, um auf etwas zu verweisen,
das die Räume des Kunstvereins offen lassen.
Anja Ciupka:
Bei den Vorbereitungen für eine Ausstellung gehe ich nicht nur von den
räumlichen Gegebenheiten vor Ort aus, sondern mehrere Faktoren spielen
für mich eine Rolle. Am wichtigsten ist dabei die Entwicklung meiner
künstlerischen Arbeit. Hinzu kommt meine Auseinandersetzung mit persönlichen
Erfahrungen und der Wahrnehmungen von gesellschaftlichen Phänomen des
aktuellen Zeitgeschehens. An dritter Stelle steht dann die Berücksichtigung
der kontextuellen und räumlichen Situation vor Ort.
Die Räume des Kunstvereins Arnsberg erfüllen alle Kriterien eines
guten Ausstellungsplatzes. Sie sind groß, hell und klar strukturiert.
Gleichzeitig gibt es aber auch viele Elemente einer halbprivaten Situation:
Man muss klingeln, eine Treppe hochgehen und durch eine große Wohnungstüre
eintreten. Außerdem ergibt sich durch den Grundriss der Räume eine
Bewegung durch den Raum -so wie in einer vorgegebenen Choreographie. Ich wollte
diese Situation wie eine Bühne oder die Location für einen Film
nutzen.
Durch die Ausstellung erschließen sich Stück für Stück
Fragmente einer Geschichte,
deren wahres Geschehen offen bleibt.
Necmi Sönmez:
In der Ausstellung war eine bestimmte „Inszenierung“ mit mehreren, gleichzeitig benutzten Medien und Techniken (Skulptur, Video, Zeichnung) wahrzunehmen. Die Inszenierung orientierte sich an der Interpretationskraft des Betrachters und setzte unterschiedliche Strategien fest, die sich alle mit der privaten Erfahrung und Erfassung der alltäglichen Räume, wie zum Beispiel Küche, Schlafraum, Bad beschäftigen. Wie hast Du diese Strategien entwickelt?
Anja Ciupka:
Das ist eine schwere Frage, denn ich glaube nicht, dass man als Künstler rein kalkuliert und logisch Strategien entwickelt, die sich dann durch den Betrachter einlösen. Die Entwicklung eines Konzeptes ist ein komplexer Prozess, bei dem wiederum unterschiedliche Faktoren zusammenspielen: Emotionen, Phantasie, Reflexion, Beobachtungen, Erfahrungen, frühere Arbeiten und neue Arbeitsvorhaben. Ich habe mit dem Titel „Passionate Single" gespielt, in die Grundrisse des Kunstvereins gezeichnet, meine Settings verdichtet, mir Geschichten dazu ausgedacht und am Ende ein für mich schlüssiges Gesamtkonzept erstellt.
Necmi Sönmez:
Du hast im zweiten Raum des Kunstvereins drei Zeichnungen ausgestellt, die Raumauffassungen für eine Familie, einen Single und einen Künstler zeigen. Waren diese architektonischen Zeichnungen „Skizzen" für das Installationsprojekt?
Anja Ciupka:
2003 habe ich die Arbeit „One House for Separated
Parents and Their Children" ausgestellt. Ausgangspunkt für die Visualisierung
dieser Idee war ebenfalls eine von mir entworfene architektonische Zeichnung,
die ich dann in ein Modell übertragen habe. Seitdem befinden sich in
meinen Skizzenbüchern immer wieder kleine architektonische Zeichnungen
für unterschiedliche Wohnsituationen mit verschiedenen Bewohnern und
Raumaufteilungen. Nachdem ich mir die Räume des Kunstvereins Arnsberg
angesehen hatte, habe ich angefangen, im Grundriss der Ausstellungsräume
meine Ideen für das „Passionate Single" Projekt einzuzeichnen.
In diesem Stadium handelte es sich tatsächlich um eine Skizze für
das Ausstellungsprojekt. In der Skizze wiederum befand sich aber die Notiz,
mehrere meiner bisherigen Grundrissskizzen zu klären und in einem Raum
der Ausstellung als unabhängige Zeichnungen (wie in einer Art Architekturbüro)
auszustellen. Somit tauchte die Zeichnung „Passionate Single" in
der Ausstellung plötzlich als eigenständige künstlerische Arbeit
auf und ist zugleich aber auch ein Bild im Bild. Der Besucher sieht beim Betrachten
der Zeichnung die aktuelle Ausstellungssituation,
in der er sich zum gleichen Zeitpunkt selbst befindet.
Die beiden anderen Zeichnungen „Solid Order"
und „Professional Artist" zeigen weitere Eckpunkte unterschiedlichster
Konstellationen. „Solid Order" bezieht sich auf einen Lebensentwurf,
dessen Kerngedanke das Familienleben ist. Er ist der Gegenentwurf des „Passionate
Single", unterliegt aber im Grunde genommen den gleichen äußeren
und inneren Widersprüchlichkeiten. Natürlich verbirgt sich in allen
drei Titeln auch Ironie.
Der Begriff „professionell", zum Beispiel, beinhaltet, dass eine
Tätigkeit mit einem hohen Anspruch an die berufliche Perfektion ausgeübt
wird und assoziiert gleichzeitig die Gedanken des Marktwert und des (Sich)verkaufens.
Es ist fraglich, ob dieser Anspruch immer mit dem Ideal der „künstlerischen
Freiheit" in Übereinstimmung steht. In der dazugehörigen Zeichnung
wird das gesamte Privatleben den beruflichen Ansprüchen untergeordnet.
Necmi Sönmez:
Mit „Solid Order" greifst Du einen Begriff aus
Zygmunt Baumans Publikation „Liquid Modernity" auf. Inwiefern spielt
der Text „Flüchtige Moderne" im Bezug auf Deine
Arbeiten für Dich eine Rolle?
Anja Ciupka:
Zygmunt Bauman beschreibt in „Flüchtige Moderne"
wie die „solide Ordnung" aufgelöst wurde, in der Absicht,
eine neue, verbesserte Ordnung zu erstellen. Das menschliche Leben wurde aber
zunehmend vor allem durch ökonomische Maßstäbe dominiert.
Eine Folge davon war die Demontage sozialer Verbindungen zugunsten menschlicher
Handlungsfreiheit. Neue Gesellschaftsentwürfe, die diesen Entwicklungen
Rechnung tragen, werden aber nur selten entwickelt. Zygmunt Bauman benutzt
die Begriffe „Flüssigkeit" und „Flüchtigkeit"
als Metaphern, um das Spezifische unserer Gegenwart
zu beschreiben.
Mir geht es in meinen Arbeiten darum, diese vielfältigen
Einflüsse auf unsere heutige Lebenssituation spürbar zu machen und
zumindest Denkanstöße für neue Modelle
(quasi auf Probe) zu liefern. Dabei schließt jeder Entwurf das Denken
eines
Gegenentwurfs mit ein. Meine Statements sind dialektisch gemeint, offen, flüssig,
provozierend und versöhnend zugleich. Ich glaube nicht, dass wir ein
ideales Modell
finden werden, aber durch Beweglichkeit im Denken und Handeln können
wir uns zumindest reflektierend unserer Situation stellen und uns Lösungen
annähern.
Das lässt sich auf viele Gebiete unserer sozialen,
ökonomischen, ökologischen, politischen und privaten Situation übertragen.
Wir alle kennen die Herausforderungen. Spannend wird es, wenn Alternativen
erdacht und erprobt werden. Warum soll nicht auch gerade die Kunst auf diesem
Gebiet mitwirken?
Necmi Sönmez:
„Flüssigkeit" als Methaper taucht auch an
zwei Stellen in der Ausstellung auf.
In der Kaffeemaschine und bei der Dusche. Wenn man die Espressomaschine als
Kommunikationsmöglichkeit mit dem Publikum betrachtet, wären die
Dusche und das Hochbett die „intimsten" Ecken der Ausstellung.
Sind der Kommunikationswunsch und ausgesuchte Intimität für Dich
gegensätzliche Begriffe? Wie kann man dieses gleichzeitig erscheinende
und doch gegensätzliche Gedankengut interpretieren?
Anja Ciupka:
Die Kaffeemaschine war mir besonders wichtig. Ich kann Sie
mir unabhängig von der Ausstellung in Arnsberg auch in verschiedenen
anderen Kontexten als eigenständiges Werk vorstellen. Zum Beispiel habe
ich sie mit auf eine Kunstmesse genommen und kostenlos Kaffee ausgeschenkt.
Dadurch entstand ein Dialog mit anderen Messeteilnehmern, Käufern, Künstlern
und Besuchern der Messe. Die Situation hat sich verkehrt, anstatt etwas zu
verkaufen, haben die Besucher etwas von mir bekommen. Auch im Alltag sehe
ich Kaffee als eine Art Überlebens- und Kommunikationsmittel.
Die äußere Form der Kaffeemaschine war mir sehr wichtig. Sie ist
vollkommen überdimensioniert für einen Single-Haushalt, hat durch
ihr Design den Status eines Kultobjekts und steht auf dem extra für sie
angefertigten Sockel isoliert im Raum.
In diesem Sinne wirkt sie genauso wie die Dusche und das Hochbett als eine
Art Überlebensstrategie. Durch die extreme Höhe des Bettes und das
Fehlen der Leiter bietet das Hochbett während des Schlafens Schutz. Gleichzeitig
ist es aber relativ schmal,
da es in seinen Maßen nur für eine Person gedacht ist und besitzt
keinen Fallschutz.
Das Herabstürzen muss also gleichzeitig mitgedacht werden. Ähnlich
ist es bei der Dusche, natürlich ist das Waschen eine intime Handlung.
Die Dusche steht aber
exponiert mitten im Raum und ist von allen Seiten einsehbar.
Necmi Sönmez:
Ich habe mich bisher sehr auf den Symbolgehalt der von Dir in Arnsberg gezeigten Objekte bezogen. Gleichzeitig entwickeln alle Deine Arbeiten eine starke unmittelbare Wirkung und funktionieren als autonome Kunstwerke. Worauf kommt es Dir bei der formalen Gestaltung Deiner Arbeiten an?
Anja Ciupka:
Jede Arbeit hat für mich eine innere Logik, dazu gehört auch eine Perfektion und Genauigkeit in den formalen Mitteln. Das Äußere einer Arbeit ist für mich nie Selbstzweck, aber dennoch maßgeblich, da Form und Inhalt untrennbar ineinander spielen. Gleichzeitig gelingt es mir durch die Formensprache, die Arbeit in einen Bereich zu überführen, der sie von einer rein symbolischen, eindeutigen Lesbarkeit wegführt. Es ist mir wichtig, dass jede Arbeit eine unmittelbare Wirkung auf jeden Betrachter hat, egal wir groß sein kunstgeschichtliches Vorwissen ist. Sie sollen nachhaltig ambivalent wirken, zugleich konfrontieren und begeistern, verunsichern und bestätigen. Manchmal geschieht das sehr direkt und deutlich, und manchmal kippt die Wirkung erst langsam mit der Zeit. Die Sitzfläche der Bank im sogenannten „Flur" der Wohnung war zum Beispiel ein ganzes Stück breiter als das übliche Maß einer Sitzfläche. Dauert das Warten (und ich glaube, dass wir fast immer auf etwas warten, und dass das Warten seit Beckett auch nichts von seiner Gültigkeit eingebüsst hat) kann man sich wie in einer Wanderhütte auf der Bank auch ausstrecken und schlafen. Das wird rational nicht sofort von jedem Betrachter erfasst werden, aber es ist sicht- und spürbar.
Necmi Sönmez:
Die Bespielung der Räume, die Intensität der Details und die Einbeziehung der filmischen Elemente haben mir eine fast „surrealistische" Wahrnehmung der Ausstellung ermöglicht. Du hast oft „irreal" wirkende Formelemente oder Überraschungen in deinen Arbeiten verarbeitet. War das in dieser Ausstellung genauso?
Anja Ciupka:
Es ist mein Interesse, an der Schnittstelle zwischen Wirklichkeit
und Fiktion zu arbeiten. Dabei geht es mir aber gar nicht so sehr um traumhafte
oder unwirkliche Elemente. Vielmehr möchte ich die Schwierigkeit verdeutlichen,
das als real Erlebte in seinem Wirklichkeits- und Wahrheitsgehalt zu erfassen.
Was wir vermeintlich als Realität erleben, ist immer auch bedingt durch
verschiedene Einflüssen: unsere bisherigen Erfahrungen, Herkunft und
Kultur, Bildung, Phantasie, Emotionen, Manipulationen, der physischen und
psychischen Verfassung. Mir geht es also nicht um die Erstellung von Traumwelten,
sondern darum, diese widersprüchlichen Erfahrungen, die Lücken in
einer eindeutigen Interpretation erfahrbar zu machen. Im besten Fall kann
sich dadurch das Denken weiterbewegen, können Stereotypen überdacht
und verschiedene Sichtweisen erprobt werden. Dieses Moment des Kippens der
Wahrnehmung ist vermutlich das, was Du als irreal beschreibst, und wird durch
die genaue Anfertigung und Setzung der Skulpturen herbeigeführt. Die
Dusche mag beispielsweise auf den ersten Blick wie ein "Readymade"
wirken, ist aber vollkommen neu gebaut. Wir sind fast nur von Normmaßen
umgeben, es gibt keine handelsübliche Dusche zu kaufen, in die man von
allen Seiten hineinsehen kann, die auf einem gefliesten Sockel steht und dann
auch noch ununterbrochen läuft. Schon durch minimale Eingriffe beginnt
sich unsere Alltagswahrnehmung subtil zu verschieben.